Juli 3, 2020

Ein neu entwickeltes Verfahren auf Basis von Künstlicher Intelligenz soll sowohl die Diagnose als auch die Behandlung von neuromuskulären Erkrankungen optimieren. Im Rahmen eines Forschungsprojekts mit der Neuropädiatrie des Universitätsklinikum Essen, dem Leibniz-Institut für Analytische Wissenschaften (ISAS) und dem MVZ Institut für Klinische Genetik in Bonn möchte das INFORM DataLab durch Analysen von Patientendaten mithilfe eines speziellen Algorithmus die Diagnose und Behandlung von neuromuskulären Erkrankungen verbessern. Im Gespräch mit Dr. Andreas Roos aus der Abteilung für Neuropädiatrie im Universitätsklinikum Essen möchten wir das Projekt und seine Ziele genauer beleuchten. In Teil 1 des Interviews haben wir bereits über Neuromuskuläre Krankheiten, aktuelle Diagnose und Behandlung sowie die Hintergründe und Ziele des Projekts gesprochen. Im zweiten Teil erfahren Sie mehr über Herausforderungen in der Datenanalyse und die Rolle von Künstlicher Intelligenz in der Forschungsarbeit.

Was waren die größten Herausforderungen in Bezug auf die Datenauswertung in der Forschungsarbeit ohne den Einsatz neuer Technologien wie z.B. Künstliche Intelligenz?

Das größte Problem war bisher, die einzelnen Datensätzen in der Summe sinnvoll zusammenzuführen, zu gruppieren und zu korrelieren. Bis zu einem gewissen Grad ist das Grundlagenforschern oder Genetikern auch möglich. Ein Beispiel: Kann man bereits erkennen, ob in einem bestimmten Gen eine die Krankheit verursachende Veränderung vorliegt, lässt sich überprüfen, ob auch das dazu passende Protein betroffen ist. Darauffolgend kann man weiter in die Tiefe gehen und analysieren, ob der Stoffwechselweg, in dem das Protein eine Rolle spielt, ebenfalls betroffen ist.

Ohne Künstliche Intelligenz kommen wir aber bei der Frage nicht mehr weiter, wie sich die Kombination weiterer Genvarianten, die nicht unbedingt kausativ für die Ausprägung einer Erkrankung sind, auf die Verstärkung dieser Stoffwechselkaskaden auswirkt. Jeder Mensch trägt eine Vielzahl von Mutationen oder Genvarianten in sich, die nicht unbedingt zu einer Erkrankung führen. Aber wenn man diese Varianten in der Summe bei einem Patienten betrachtet, der ohnehin schon eine Grunderkrankung aufweist, kann man deren Auswirkungen besser einschätzen.

Außerdem lässt sich schneller klären, wie sich eine veränderte Proteinzusammensetzung in der Muskulatur auf eine bestimmte Proteinsignatur im Blut der Patienten auswirkt. Bei einer Muskelbiopsie sprechen wir über einen invasiven Eingriff. Bei einer Blutentnahme über einen minimal invasiven Eingriff. Mit Künstlicher Intelligenz versuchen wir zu bestimmen, ob die Regulierung bestimmter Proteine im Blut die Regulierung bestimmter Stoffwechselwege in der Muskulatur beeinflusst. Das heißt, Künstliche Intelligenz könnte helfen, in Zukunft die Notwendigkeit invasiver Muskelbiopsien zu vermindern, indem sie bereits durch die Untersuchung der Blutprobe klärt, welche Proteine im Blut die Muskulatur oder auch die Stoffwechsellage im Muskel verändern.

Wie sehen Sie zukünftig den Einsatz von KI zur Erforschung von Krankheiten und neuen Behandlungs- sowie Diagnoseverfahren?

Ich denke, KI wird neue Horizonte eröffnen, wenn wir sehen, dass bestimmte Kombinationen von fehlregulierten Proteinen und bestimmten genetischen Veränderungen auch bestimmte Therapieformen benötigen. So werden in Zukunft personalisierte Therapien möglicherweise mehr Einzug finden. Derartige Behandlungsformen kennt man bereits beispielsweise bei Hirntumorerkrankungen. Man kann dann verschiedene Medikamente so miteinander kombinieren, dass der Patient den maximalen Therapieerfolg hat. Hier wird KI und die Arbeit vom INFORM DataLab in Kooperation mit den anderen Partnern dazu beitragen, dass wir genauso ein Konzept der personalisierten Medizin in Zukunft auch auf den neuromuskulären Patienten übertragen können. Dennoch wird die Forschung immer in Abhängigkeit von Klinikern oder Genetikern stattfinden, die bestimmte neue Mutationen zu interpretieren wissen.

Warum haben Sie sich für eine Zusammenarbeit mit dem INFORM DataLab entschieden? Wie verlief das Projekt bisher?

Wir haben bei der Auswahl der Partner darauf geachtet, dass es bereits eine ausgewiesene Expertise auf diesem Feld gibt. Der Erfolg eines solchen Projekts hängt davon ab, dass mit den besten Leuten zusammengearbeitet wird. Basierend auf dem Internetauftritt des INFORM DataLab ist klar gewesen, dass sie dort mit großen Datenmengen umgehen können, wobei wir in der ersten Phase des Projekts noch nicht in den Bereich von Big Data vordringen werden. Das Projekt sollte in Hände von Leuten gegeben werden, für die diese Arbeit mit solchen Datenmengen „täglich Brot ist“ und keine Einarbeitungsphase von fünf bis sechs Monaten benötigt wird. Hinzukommt die Neutralität: Informatiker sind bei der Analyse nicht vorbelastet und analysieren unabhängig von Erfahrungswerten.


AUTOR

Isabel Bonyah